Vermittlungsausschuss 70 Jahre erfolgreiche Kompromissfindung

Foto: Manuela Schwesig und Hermann Gröhe

© Bundesrat | Dirk Deckbar

Der Vermittlungsausschuss - das gemeinsame parlamentarische Gremium des Deutschen Bundestages und des Bundesrates – feiert in diesen Tagen sein 70-jähriges Jubiläum. Seine Vorsitzenden Manuela Schwesig und Hermann Gröhe ziehen Bilanz und blicken auf seine Rolle als Konfliktschlichter und Förderer von Stabilität und innerer Einheit.

- Dieser Beitrag erschien am 7. Mai 2020 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.-

Am 11. Mai 1950 trat der Vermittlungsausschuss zu seiner ersten Sitzung zusammen. Seither hat er sich immer wieder als bedeutsames Instrument für die Auflösung von schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern und dem Bund im Gesetzgebungsverfahren erwiesen. Ihm kommt damit als Schlichtungsorgan eine Schlüsselrolle zu. Er ist der in unserer Verfassung verankerte Ort der politischen Kompromissfindung. Zuletzt konnten sich Bund und Länder beim Thema Digitalpakt Schule sowie beim Klimaschutzpaket einigen und den Weg für den Ausbau der Digitalisierung von Schulen sowie eine faire Lastenverteilung beim Klimaschutz freimachen.

Blickt man auf die 70 Jahre seiner Tätigkeit zurück, zeigt sich, welchen Wert die Kompromissfindung für unsere parlamentarische Demokratie hat. Dies gilt umso mehr, als dass das Erstarken populistischer Strömungen und die zunehmende Verlagerung politischer Auseinandersetzungen in die sozialen Netzwerke die politische Streitkultur in Deutschland verändert hat. Der Vermittlungsausschuss zeigt uns, dass Konflikt und Konsens, Streit und Schlichtung, erbittertes Ringen und gegenseitiges Aufeinanderzugehen nicht nur unverzichtbare, sondern auch nicht voneinander zu trennende Bestandteile unserer Demokratie sind. Besser eine streitbare Demokratie mit anstrengenden Debatten als eine Diktatur mit Einheitsbrei. Demokratie ohne Kompromiss und Konsens heißt Blockade, Stillstand und Scheitern. Gerade in dieser Zeit der Herausforderungen durch die Corona-Pandemie erleben wir die Leistungsfähigkeit unserer bundesstaatlichen Ordnung, regionale und gesamtstaatliche Verantwortung miteinander zu verbinden.

Unser Staat braucht den politischen Kompromiss und Konsens in vielfacher Weise. Als gemeinsamer Ausschuss zweier Verfassungsorgane ist der Vermittlungsausschuss dabei nicht nur Vermittler und Schlichter, der Lähmungen in der Gesetzgebung verhindert und dafür sorgt, dass Interessen der Länder und des Bundes, aber auch unterschiedliche politische Ansätze in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Er ist Beschleuniger und im Rahmen seiner Befugnis zur Änderung der Gesetzesvorlagen auch Gestalter.

Die Stärke des Vermittlungsausschusses bei der Konfliktlösung wird dadurch unterstrichen, dass der Einigungsvorschlag von Bundestag und Bundesrat nicht nachträglich geändert werden kann. Sicherlich trägt zu dieser Stärke auch bei, dass im Vermittlungsausschuss Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, Landesministerinnen und Landesminister mit führenden Vertreterinnen und Vertretern alle Bundestagsfraktionen verhandeln. Tatsächlich ist im Politikbetrieb sogar schon so manche Drohung mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses ausreichend gewesen, um im Vorfeld doch noch eine Einigung zu erzielen. Am Ende zählten aber immer auch persönliches Vertrauen der Verhandler/innen untereinander, Verlässlichkeit und die Bereitschaft, die jeweils andere Position zu respektieren.

Als besonders langwierige und schwierige Verhandlung sind vielen die nächtelangen Sitzungen zur "Agenda 2010" bzw. zur Hartz-IV-Gesetzgebung mit mehreren tausend Seiten Akten im Jahr 2003 in Erinnerung geblieben. Dieses Beispiel steht in besonderer Weise für die großen Herausforderungen, die der Vermittlungsausschuss bewältigen muss: Zu ihnen gehört es, insbesondere bei politisch umstrittenen Themen und umfangreichem Verfahrensstoff in zähen oft nächtlichen Verhandlungsrunden - begleitet von großer medialer Aufmerksamkeit - letztlich einen Kompromiss zu erzielen, der in der Praxis umgesetzt werden kann und in dem sich alle Beteiligten inhaltlich wiederfinden.

Die Fähigkeit, diese Herausforderungen zu bewältigen und notwendige Reformen vor dem Scheitern zu bewahren, hat der Vermittlungsausschuss in der Geschichte seines Bestehens bei vielen bedeutsamen Gesetzesvorhaben unter Beweis gestellt. Aus jüngerer Zeit sind insbesondere die Grundgesetzänderung für den Digitalpakt und das Paket zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 zu nennen.

Dass eine sachliche Debatte mit gegenseitigem Respekt unerlässlich für die Kompromissfindung und für ein gutes Ergebnis ist, veranschaulicht ausgerechnet ein Streitpunkt: Da seine Sitzungen nicht öffentlich sind, sah sich der Vermittlungsausschuss häufig dem Vorwurf ausgesetzt, er sei eine "Dunkelkammer".

Die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen ist aber für die Erarbeitung von Kompromissen über die Parteigrenzen hinweg notwendig. Sie fördert das offene Gespräch der Mitglieder untereinander und macht es möglich, auch jene Gegensätze zu überwinden, die häufig den öffentlichen Streit bestimmen. Die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und einen Kompromiss zu finden, wird dadurch entscheidend gefördert. Andersherum gesagt: Gäbe es den Vermittlungsausschuss nicht, würde sich die Politik wohl in andere, nicht durch eine Geschäftsordnung geregelte "Dunkelkammern" verlagern. So aber tagt dieses wichtige Gremium nach den festen Regeln seiner Geschäftsordnung und das Vermittlungsergebnis ist durch das Bundesverfassungsgericht - den Hüter unserer Verfassung - überprüfbar.

Wie bedeutsam der Bundesrat und insbesondere der Vermittlungsausschuss für den Zusammenhalt unseres Landes sind, zeigt auch ein Blick auf die Vorkommnisse und Verwerfungen in vielen Ländern in Europa aber auch weltweit. Deutschlands Stabilität und innere Einheit sind in den letzten 70 Jahren auch durch die Kompromissfindung zwischen Bund und Ländern erreicht worden. Entscheidend ist, dass regionale und politische Interessen in Ausgleich gebracht und so gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland geschaffen werden.

In den letzten Jahren bringt die Veränderung der Parteienlandschaft in Deutschland neue Herausforderungen für die Kompromissfindung zwischen den Ländern und dem Bund und damit auch für den Vermittlungsausschuss mit sich. Die Koalitionen in den Ländern werden immer bunter, sodass auch die Konsensfindung innerhalb der Länder immer schwieriger wird. Häufig sehen die Koalitionsverträge auf Länderebene vor, dass sich bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Landesregierung bei den Abstimmungen im Plenum des Bundesrates enthalten wird. Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses bedeutet dies, dass eine Mehrheit zur Anrufung des Vermittlungsausschusses oftmals nicht zustande kommt. Hier wie insgesamt gilt: Wechselseitiger Respekt vor der grundgesetzlich verankerten Aufgabenteilung zwischen den Ländern und dem Bund kann der Gefahr von parteipolitisch begründeten Blockaden oder einer Verantwortlichkeiten verwischenden „Allparteienkoalition“ entgegenwirken. Wo dieser Geist die Arbeit im Vermittlungsausschuss prägt, kann er seinen besonderen Beitrag dazu leisten, die Stärken unserer bundesstaatlichen Ordnung zur Geltung zu bringen.

Stand 07.05.2020

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